Am 23. Februar 2013 fand im Rahmen der „XXVI. Königswinterer Tagung“ die offizielle Verleihung des mit EUR 5.000,00 dotierten „Dorothee-Fliess-Preises für Widerstandsforschung“ an Frau Dr. Antje Vollmer statt. Der Preis wurde ihr verliehen für ihre Doppelbiographie mit dem Titel:
„Doppelleben–Heinrich und Gottliebe von Lehndorff im Widerstand gegen Hitler und von Ribbentrop“
Die „Forschungsgemeinschaft 20. Juli 1944“ hatte Frau Vollmer bereits im Jahr 2012 für den Preis nominiert. Aus terminlichen Gründen wurde er jetzt im Rahmen einer feierlichen Veranstaltung im Adam-Stegerwald-Haus in Königswinter übergeben.
Hans-Manfred Rahtgens, Vorsitzender des Stiftungsrats des „Dorothee-Fliess-Fonds“ begrüßte die Gäste:
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde und Förderer der Forschungsgemeinschaft 20. Juli 1944.
Ganz besonders herzlich begrüßen wir heute in unserer Mitte Frau Dr. Antje Vollmer, der der Stiftungsrat des „DFF“ schon vor geraumer Zeit in großer Einmütigkeit den „Dorothee-Fliess-Preis für Widerstandsforschung“ zuerkannte. Erst heute aber können wir die Preisverleihung umsetzen, weil Terminschwierigkeiten dagegen standen.
Lassen Sie mich ein paar Sätze zum „DFF“ sagen. Für die Einen zur Erinnerung, für die Anderen zum Nachdenken. Der Fonds finanziert aus seinen Erträgen wissenschaftliche Arbeiten, die sich mit dem Widerstand gegen das „Dritte Reich“ beschäftigen. – Das können Promotionsförderungen sein, Zuschüsse zu Druckkosten oder Magister- bzw. Masterarbeiten oder eben eine Veröffentlichung, die zur Nominierung des mit € 10.000,– dotierten „Dorothee-Fliess-Preises für Widerstandsforschung“ führt. Im Jahre 2012 haben wir auf diese Weise mehr als € 20.000,– ausgeschüttet.
Der Vorstand der Forschungsgemeinschaft und der Stiftungsrat des „DFF“ bitten Sie, mit uns zusammen an der wertvollen und wichtigen Arbeit des Fonds mitzuwirken. Wie das gehen soll?
Wir alle können und sollten im Kreise des Nachwuchses auf diesen Fonds aufmerksam machen und schließlich können die etwas Vermögenderen unter Ihnen jederzeit steuerfreie Zustiftungen leisten oder ihr Vermögen, wie es Dorothee Fliess getan hat, testamentarisch unserer/Ihrer Stiftung vermachen.
Um unsere Arbeit fortsetzen zu können, wären derartige Zustiftungen höchst willkommen, lässt doch die gegenwärtige Zinssituation an den Kapitalmärkten kaum mehr nennenswerte Erträge zu, die wir benötigen, um dem Stiftungszweck nachzukommen.
Liebe Frau Vollmer, bevor wir uns auf die Laudatio von Christoph Studt freuen dürfen, richte ich noch eine kleine Bitte an Sie: Es wäre sehr schön, wenn Sie anlässlich des heutigen Tages diese Preisverleihung auf Ihrer Website publik machen würden, um auf diesen in der Öffentlichkeit noch wenig bekannten Preis aufmerksam zu machen.
Dr. Christoph Studt in seiner Laudatio auf die Preisträgerin:
Liebe Frau Vollmer, meine sehr verehrten Damen und Herren!
Man spricht gerne von einer Ersten, einer Zweiten Reihe, ja sogar von einer Dritten Reihe, wenn es um den „Rang“, die Bedeutung des Widerstandes geht, den ein Mensch gegen das Unrechtsregime des „Dritten Reiches“ gewagt hat. Es ist jedoch zu fragen, ob das nicht eine historische, eine ggf. sogar wissenschaftliche Form der Mißachtung, des Herabschauens, des Zensurenverteilens ist, die uns Nachgeborenen schwerlich zusteht. Oft ist es Ausdruck einer „Gnadenlosigkeit der späten Geburt“, wenn, zugespitzt formuliert, aus dem gepolsterten Ohrensessel mit einem guten Glas Rotwein in der Hand, über den Stellenwert menschlichen Handelns unter den Bedingungen eines totalitären Regimes statements abgegeben werden. Müssen wir nicht vielmehr dankbar sein, in einer so „langweiligen“ Zeit leben zu dürfen, die uns voraussichtlich niemals vor eine Entscheidung von der existentiellen Tragweite stellen wird, die die Mitglieder des Widerstands gegen das „Dritte Reich“ zu treffen hatten?!
Ob konservativ, liberal oder gar sozialistisch eingestellt, ob evangelisch oder katholisch, das spielte spätestens von dem Moment an keine Rolle mehr, in dem jemand in vollem Bewußtsein seines Tuns jenes berühmte „Nessushemd“, von dem Henning von Tresckow gesprochen hat, übergestreift hatte. Jedem, der das tat, war klar, daß er dafür seinen Kopf riskierte!
Natürlich gibt es den unmittelbaren Tyrannenmörder. Aber ein Widerstand, der über diese Tat hinaus weiterdenkt, tut gut daran, ein Netzwerk aufzubauen aus vertrauenswürdigen, verläßlichen Personen. Auch in diesem Zusammenhang, vielleicht sogar ganz besonders, gilt das alte Sprichwort von der Kette, die so stark ist wie ihr schwächstes Glied.
Und zu diesem Netzwerk der Verschwörung gehörten Heinrich Graf von Lehndorff-Steinort und seine Frau Gottliebe, ja Heinrich Lehndorff zählte sogar zum „engsten Umkreis von Henning von Tresckow“. Gleichwohl taucht dieser Mann in der Literatur zum 20. Juli 1944 nur schemenhaft als Randfigur auf, als Personenregister-Existenz gewissermaßen, unklar in seinen Tätigkeiten, als Persönlichkeit zwar genannt, aber ohne jede Kontur. Kein einziger einschlägiger Titel ziert das Quellen- und Literaturverzeichnis von Frau Vollmers Buch, der im Zentrum auf diesen jungen Grafen eingeht. Und das noch 70 Jahre nach den Ereignissen!
Angefangen hat alles fast zufällig. Von Vera von Lehndorff angesprochen, ob sie sich vorstellen könne, die Geschichte ihrer Eltern im Zusammenhang des Widerstandes vom 20.Juli 1944 zu schreiben, sagte Frau Vollmer zu. Die vier Töchter überließen ihr daraufhin das Familienarchiv: Es enthielt neben allerlei unveröffentlichten Fotos zwei Tonkassetten mit einem Gespräch zwischen Gottliebe und Vera von Lehndorff. Daneben gab es den Tonbandmitschnitt eines weiteren Interviews und hand- sowie maschinenschriftliche Erinnerungen Gottliebes im Umfang von etwa 40 Seiten. Drei weitere Kladden betrafen schon spätere Zeiträume.
Wie macht man aber aus so wenig Material ein überzeugendes Buch, eine Doppel-Biographie gar? Glückliche Funde, etwa im Schularchiv von Roßleben und Gespräche mit Zeitzeugen – einige sitzen hier im Publikum – haben Frau Vollmer dann doch noch eine erstaunlich breite Quellenbasis verschafft. Dazu trat natürlich die Auswertung der mittlerweile umfänglichen Forschungsliteratur.
Das Buch von Antje Vollmer ist deshalb keine klassische Biographie geworden, die eben angedeutete Quellenlage läßt es nicht zu, dieses, obgleich nur „in wenige Jahre eng zusammengepreßte“ Leben Heinrich von Lehndorffs und seiner Frau vollständig zu rekonstruieren. Aus der Quellennot eine schriftstellerische Tugend machend, hat Frau Vollmer stattdessen eine Art Collage vorgelegt, in der sie die eher kargen Quellen mit Forschungsliteratur und eigenen Deutungen zusammenführt.
Und das Buch ist doch zugleich mehr als eine Biographie! Denn es gelingt Frau Vollmer auf beeindruckende Weise, dem Leser das Milieu des ostpreußischen Landadels in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts einfühlsam nahezubringen und manches gepflegte Vorurteil zu beseitigen. Sie entführt uns – in ihren eigenen Worten – „in eine Welt, die noch nichts von den kommenden Katastrophen ahnte“ und beläßt damit der Geschichte ihre prinzipielle Offenheit. Ohne diese Basis, ohne diese Ursprünge, wäre das Denken und Handeln Heinrich von Lehndorffs und seiner Frau schlechterdings „nicht zu verstehen“. Es ist berührend zu lesen, wie sich die beiden fanden, wie sie gemeinsam das vom skurilen Onkel Carol vernachlässigte Riesengut Steinort wieder auf Vordermann bringen wollten. Und wie diese beiden Kinder altpreußischer Adelsgeschlechter fast selbstverständlich in den Kreis der militärischen Opposition gegen das NS-Regime eintraten.
Daß auch die Rahmenbedingungen für die militärische Opposition gegen Hitler breit dargestellt werden, ist Frau Vollmer von einigen Rezensenten angekreidet worden: bekannte Fakten aus der Forschungsliteratur müsse man doch nicht nochmals wieder abdrucken… Doch wer das Buch unbefangen in die Hand nimmt und – vor allem – es ganz liest (was Rezensenten nicht immer tun), dem geht auf, daß jede eingefügte Literaturpassage ihren tiefen Sinn in der Gesamtkomposition dieses Buches hat. Denn es ist kein Fachbuch im eigentlichen Sinne, es möchte ein breites Publikum ansprechen, bei dem man großes Vorwissen nicht erwarten darf. Das Buch ist – im besten Sinne – angelegt als historisch-politische Bildungsarbeit. Denn, so Frau Vollmer: „Wir brauchen das Wissen, dass es auch einige Mutige gab, die handelten und Verantwortung für den Lauf der Welt übernahmen. Es gab die Möglichkeit zum Dissens, auch gegen das eigene Milieu, es gab die Möglichkeit zum Widerspruch, wenn auch der Preis hoch war.“
Und zu dieser historisch-politischen Bildungsarbeit paßt auch der Ton, den Frau Vollmer anschlägt: keineswegs nüchtern, gar trocken, wie es den Profihistorikern, den deutschen zumal, immer wieder vorgeworfen wird, sondern lebendig, streckenweise dramatisch – eben so, wie die Situation damals war – , unvoreingenommen, aber voller Empathie auf der einen und Hochachtung auf der anderen Seite, ohne dass davon ihr Urteil getrübt würde.
Ich habe wenig über den Inhalt des Buches gesagt, mehr über seine Geschichte, seine „Machart“. Das ist in tiefer Absicht geschehen. Denn ich möchte all diejenigen unter Ihnen, die das Buch noch nicht gelesen haben, motivieren, dies schleunigst nachzuholen. Es lohnt sich!
Und ich darf vielleicht auf ein abgedrucktes Dokument besonders aufmerksam machen: An sich neige ich nicht zur Rührseligkeit, aber die Lektüre des 10-seitigen Abschiedsbriefes von Heinrich Graf Lehndorff hat mir wiederholt die Tränen in die Augen getrieben. Ein 35-Jähriger, der im Angesicht des Galgens an seine Frau und seine vier Töchter – deren jüngste er gar nicht mehr hat kennenlernen dürfen – schreibt und sie ermutigt, „ihr eigenes Leben weiterzuleben, sich nicht zu zermartern“ in Gedanken an sein Schicksal: das hat echte menschliche Größe!
„Ganz still habe ich gewartet, bis einmal ein Mensch diese Dinge, um die diese Männer und Frauen gelebt und gekämpft haben, berühren würde. Unendlich glücklich haben Sie mich gemacht, weil ich aus Ihren Worten all das gelesen habe, wonach ich mich sehnte.“ Diese Worte richtete Gottliebe von Lehndorff am 28. Juli 1946 an die Schriftstellerin Ricarda Huch, die beabsichtigte, Bilder deutscher Widerstandskämpfer „In einem Gedenkbuch zu sammeln…“. Sie hätte diese Worte auch gute 50 Jahre später an Antje Vollmer richten können!
Denn ihr ist es gelungen, wohl alle heute noch verfügbaren Quellen zu beiden Protagonisten zusammenzustellen, zu analysieren und auf behutsame Art und Weise zu interpretieren. „Damit“, so ein Kenner der Materie, „ist ein einfühlsames Doppel-Porträt entstanden, das zugleich eine wichtige Lücke in der Forschung über den Widerstand gegen den Nationalsozialismus schließt.“ (J. Tuchel) Dafür danken wir Frau Vollmer, indem wir ihr den „Dorothee-Fliess-Preis für Widerstandsforschung“ verleihen!
Frau Vollmer dankte in ihrer Erwiderung für die Auszeichnung und mahnte: „Der Widerstand ist noch nicht ausgeforscht – es gibt noch viele Aspekte, die gänzlich unbekannt sind“. Sie appellierte gezielt an die jungen Historiker: „Fangen Sie an zu suchen, Sie werden ganz bestimmt ein Thema für sich finden!“